Der Haas-Effekt

Das unsere Ohren einen bemerkenswerten Dynamikumfang haben, haben wir bereits kennen gelernt. Doch das Ohr kann noch viel mehr!

Wir erkennen zum Beispiel aus welcher Richtung der Schall eines Ereignisses kommt, ob wir uns in einem kleinen oder großen Raum oder gar im Freien aufhalten. Auch wie weit das vermeintliche Schallereignis entfernt ist, wird mit Hilfe der Ohren bestimmt. Es gibt zum Thema "richtungsbestimmendes Hören" eine für die Raumakustik sehr bedeutende Dissertation von Helmut Haas. 1951 schrieb er "über den Einfluss eines Einfach-Echos auf die Hörsamkeit von Sprache" Acustica 1, Seite 49: Der zuerst beim Zuhörer eintreffende Direktschall ist allein richtungsbestimmend.
Haas fand heraus, dass der Direktschall "die erste Wellenfront" (der Schall, der zuerst bei unserem Gehör eintrifft) maßgeblich für die Lokalisation des Schallereignisses ist. Trifft die erste Reflektion (Schallspiegelung mit einer Verzögerung z.B. erzeugt durch eine harte Wand in der Nähe) zwischen 10ms und 30ms später ein, so wird (egal aus welcher Richtung die Reflektion kommt) der Direktschall als "einzige" Schallquelle lokalisiert!
Ist die Laufzeitdifferenz zwischen Direkt- & reflektiertem Schall größer als 40ms, beginnt unser Gehör die direkte Verbindung zwischen Direktschall und Reflektion zu lösen und wir erkennen eine zweite Schallquelle. Sollte die zweite, zeitlich verzögerte, Schallquelle jedoch den gleichen oder gar einen 10dB höheren Pegel wie der Direktschall haben, so nehmen wir trotzdem die Quelle des Direktschalls immer noch als richtungsbestimmende Schallquelle wahr. Wird aber der Abstand zwischen Direkt- und zeitverzögertem Signal >50ms, so werden beide Schallquellen als räumlich voneinander getrennte Quellen erkannt und es entsteht das sog. "Echo".

Der pfiffige Tontechniker sollte nun sein "Ahaaaaa..." Erlebnis haben!
Diese, von Helmut Haas, erforschte Eigenschaft unseres Hörorgans findet natürlich im Bereich der PA-Beschallungstechnik eine äußerst praktische Anwendung:

Will man einen großen Raum so beschallen das alle anwesenden gut hören, gibt es mehrere Möglichkeiten:

1. Man stellt sehr große Boxentürme links und rechts neben die Bühne. Der Nachteil hierbei ist die Größe ansich, das hohe Gewicht, natürlich die Rückkopplungsempfindlichkeit und nicht zuletzt die unausgewogene Pegelverteilung im Raum. "Vor den Boxen ist es ULTRA-laut und am Saal-Ende versteht man gerade noch was."

2. Man stellt mehrere Lautsprecher im Saal auf, die mit einer (für jede Box einzeln) berechneten Zeitverzögerung das Signal, das von der Bühne kommt, wiedergeben. Der Nachteil hierbei ist dass man die Laufzeiten berechnen muss, man braucht mehr Kabel, mehrere Verstärker-Kanäle und natürlich unabdingbar einen Controller, der die Verzögerungen (Delays) generieren kann.

3. Man nutzt die Physikalischen Gegebenheiten von Line-Arrays (liebevoll Konzert-Bananen genannt). Line-Arrays arbeiten nach dem Prinzip der Zylinderwelle, die sich aus mehreren untereinander in einer Linie (Line) hängenden Lautsprecherboxen ergibt. Von einer Zylinderwelle spricht man im Übrigen erst ab 4 gekoppelten Schallquellen. Solltet Ihr auf einem Stadtfest oder evtl. dem Hessentag ;-) jeweils nur 3 dieser speziellen Boxen untereinander hängend sehen, so handelt es sich hierbei keineswegs um ein richtiges Line-Array. -Aber das nur am Rande!
LINE-ARRAY IST IN! ...jeder hat eins, ...der der keins hat will eins! Line-Arrays sind in der Anschaffung sehr teuer und das Aufhängen und einrichten sollte NUR von erfahrenen Technikern durchgeführt werden. Diese Art von "Gruppenstrahler" ist wirklich Sinnvoll, wenn Ihr sehr große Flächen von einem einzigen Punkt aus beschallen wollt. Aber lasst Euch gesagt sein: "Wenn der Abstand zur gegenüber stehenden Beton-Wand kleiner als 20m ist, könnt Ihr Euch mit einem Line-Array evtl. mehr Probleme einhandeln, als lösen!"

Zurück zum Haas-Effekt in der praktischen Anwendung:

Hat man sich nun doch für die 2. Variante (mehrere verteilte Lautsprecher) entschieden, baut diese auf und schließt sie an mehrere Verstärker an, die alle das gleiche Signal (direkt von der Bühne) bekommen, so stellt man schnell fest, dass der Bühnensound gar nicht von der Bühne, sondern vom Lautsprecher mit der kürzesten Entfernung zum Zuhörer kommt. Der Zuhörer wird ganz unbeabsichtigt sein Augenmerk nicht mehr auf die Bühne richten, auf der doch eigentlich die Aktion stattfindet.
Nutzt man jedoch Delays (zeitlich angepasste Verzögerungen) für die Lautsprecher, die weiter von der Bühne weg stehen, so bekommt man zum einen lästige Reflektionseffekte (Echos) im Saal in den Griff und zum anderen lenkt man die Aufmerksamkeit des Zuschauers / Zuhörers wieder auf das Bühnengeschehen zurück. Ein kleiner Nebeneffekt ist ein wesentlich leiserer und entspannter Mix der gesamten Produktion, da auf diese Art und Weise jeder im Saal gut hört und die Bühnenfront nicht zwingend "brüllend laut" gemischt werden muss.

Unsere Ohren werden es uns nachhaltig danken!

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